Totale Überwachung durch Corona App?
Die Corona App ist seit Wochen in ganz Europa ein sehr heiss diskutiertes Thema. Da die Thematik sehr komplex ist, habe ich versucht, die wichtigsten Punkte so einfach wie möglich zusammenzufassen.
Zu Beginn ist es mir wichtig, dass ihr versteht, dass es nicht die eine Corona App gibt. Wir sprechen hier von Apps von verschiedensten Herstellern und auch mit verschiedensten Hintergründen. Sowohl technisch aber auch wirtschaftlich.
Welchen Zweck haben diese Apps? Wie soll uns eine Corona App schützen?
Die von der deutschen Politik besprochene App hat nicht das primäre Ziel uns oder unsere Kontakte zu schützen. Das grosse Ziel dahinter ist es, die Infektionskette so schnell wie möglich zu unterbrechen und so eine Ausbreitung zu verhindern. Der Chaos Computer Club hat es sehr gut zusammengefasst:
«Sie soll Infektionsketten unterbrechen, indem die Kontakte unserer Kontakte geschützt werden.»
Und wie soll das gehen?
Die Kontakte von Infizierten sollen schneller alarmiert werden und können sich somit schneller in Quarantäne begeben.
Ich will mich aber bestimmt nicht von jemandem überwachen lassen!
So geht es mir auch und hoffentlich auch allen anderen Lesern. Wegen der Angst vor der Krankheit herrscht bei Diskussionen oft ein Klima, bei der die Einschränkung der Grundrechte durchaus willkommen ist.
Neben einer Gesundheits- und Wirtschaftskrise, sollte meiner Meinung nach nicht noch eine Grundrechtskrise ausgelöst werden.
Vor ein paar Tagen habe ich durch Zufall Informationen über die aktuellen Zustände in Israel gelesen. Anscheinend bekamen in der letzten Zeit viele Menschen Nachrichten wie: „Sie waren in der Nähe eines Corona-Infizierten! Gehen Sie in Quarantäne“
Die israelische Regierung ortet in Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst Corona-Infizierte und Kontaktpersonen über ihre Mobiltelefone. Eine „Corona-Spezialeinheit“ geht dann mit den Daten auf die Jagd. Sie kontrollieren, ob die Infizierten und auch die Kontaktpersonen wirklich zu Hause sind und wenn nicht, werden sie verfolgt und verhaftet.
So eine Situation muss meiner Meinung nach in ganz Europa verhindert werden – lieber noch auf der ganzen Welt.
Für diejenigen unter euch, die jetzt denken, dass ein temporäres Gesetz doch kein Problem und ein Akt der Solidarität ist, sollten mal über folgende zwei Beispiele nachdenken. Bestimmt kennen einige von euch die Situation, dass in euren Firmen etwas „temporär“ aktiviert oder eingeführt und danach nie mehr deaktiviert wird. Solche Situationen gab es bei früheren Seuchen auch schon. Die Einführung der Ausweispflicht z.B. lässt sich auf die Pest im Mittelalter zurückführen.
Also kann die Überwachung nicht verhindert werden?
Doch das geht auf jeden Fall und kann sogar technisch von den Entwicklern verhindert werden. Dazu aber weiter unten mehr. Die App darf auf keinen Fall ein „Contact Tracking“ sondern nur ein anonymisiertes „Contact Tracing“ betreiben.
Hä? Wo ist der Unterschied?
Beim Tracing passiert folgendes:
- Jedes Smartphone, welche die App installiert, bekommt eine temporäre und anonyme Identifikationserkennung zugewiesen.
- Wenn sich nun ein anderes Smartphone mit der installierten App für eine bestimmte Zeit in nächster Nähe befindet, werden die Kennungen via Bluetooth ausgetauscht. Wichtig nochmal zu erwähnen, dass dies nicht beim kurzen Kreuzen auf der Strasse oder beim Vorbeigehen an der Eisdiele passiert.
- Die Daten werden nun auf dem jeweils anderen Gerät gespeichert und werden dort verschlüsselt.
- Sollte die Kontaktperson nun an Covid-19 erkranken, kann sie dies in der App eintragen und alle Kontaktpersonen werden dann informiert und können sich selbst isolieren oder testen lassen.
Beim Tracking hingegen ist nichts anonymisiert und die Daten werden zu einem zentralen Server übermittelt, welcher sehr wahrscheinlich ein Bewegungsmuster erstellen wird und auch die Identität des App-Benutzers herausfinden kann.
Anonymität ist für mich der wichtigste und zentralste Punkt! Gesundheitsdaten sind sehr heikel und müssen geschützt werden. Stellt euch mal vor, euer Smartphone verrät jeder Person in eurem Umkreis, dass ihr krank seid. Was wird wohl passieren?
Da kommen wir dann auch schon zum nächsten Punkt. Diskriminierung!
Was hat eine App mit Diskriminierung zu tun?
Gehen wir nochmal auf die Frage ein „Was wird wohl passieren, wenn euer Smartphone allen Personen in nächster Nähe verrät, dass ihr krank seid?“. Jemand der krank ist, aber keine Familie, Freunde oder sonstige Hilfe hat, muss irgendwann mal einkaufen gehen. Es kann sein, dass Ladenbesitzer oder die Kunden der Person keinen Zutritt zum Geschäft geben, da sie sowieso schon in Panik und Angst leben.
Und was ist mit Personen, die gar kein Smartphone oder auch einfach nur keinen Akku mehr haben? Die sind dann vielleicht gesund, aber könnten trotzdem ausgegrenzt, dem Platz verwiesen oder der Zutritt könnte ihnen verweigert werden.
Man könnte die Diskussion bezüglich Diskriminierung fast ins Unendliche ziehen und darum möchte ich an diesem Punkt auch aufhören. Mir ist es einfach nur wichtig, dass das Thema in die Diskussionen miteinbezogen wird.
Was ist mit Personen, welche kein Smartphone besitzen? Bekommen diese eines geschenkt?
Laut Statista.com besitzen 58 Millionen der deutschen Bürger bereits ein Smartphone. Bei 81,5 Millionen Einwohnern bedeutet das, dass knapp 29% noch kein Smartphone besitzen. Wenn 60% (und mehr) der Einwohner die App benutzen würden, könnte man das Virus sehr stark eindämmen und einen zukünftigen Lockdown verhindern. Somit muss nicht jede Person ein Smartphone besitzen.
60%? Glaubst du wirklich, dass so viele Leute die App freiwillig herunterladen?
Für mich wäre die Corona App, wenn überhaupt, maximal ein weiterer Baustein zur Bekämpfung von Covid-19 wie z.B. Abstand halten oder Maske anziehen.
In die App wird meiner Meinung nach viel zu viel Hoffnung hineingesteckt. Die App wird nicht die Welt verändern oder das Virus töten. Die Regierungen haben nun die Aufgabe, die App so zu gestalten, dass sie durch maximale Transparenz ein hohes Vertrauen in der Öffentlichkeit schaffen. Ansonsten ist das Projekt bereits am Anfang zum Scheitern verurteilt.
Du hast vorher erwähnt, dass es viele verschiedene Apps gibt. Welche soll ich benutzen?
Ich möchte keine konkrete Empfehlung rausgeben. Viele von euch kommen aus verschiedenen Ländern und vertreten auch diverse Interessen. Ich persönlich werde mich in den kommenden Wochen am Chaos Computer Club orientieren.
Der CCC hat bereits anfangs April die 10 Prüfsteine für die Beurteilung von „Contact Tracing“-Apps aufgesetzt, welche folgende Punkte beinhalten:
- Epidemiologischer Sinn & Zweckgebundenheit
- Freiwilligkeit & Diskriminierungsfreiheit
- Grundlegende Privatsphäre
- Transparenz und Prüfbarkeit
- Keine zentrale Entität, der vertraut werden muss
- Datensparsamkeit
- Anonymität
- Kein Aufbau von zentralen Bewegungs- und Kontaktprofilen
- Unverkettbarkeit
- Unbeobachtbarkeit der Kommunikation
Details inklusive technischer Beschreibungen zu den einzelnen Punkten findet ihr hier.
Wie sich durch diverse Aussagen von Bundesminister Spahn erahnen lässt, bewegt sich die deutsche Regierung mit einem zentralen und datenschutzunfreundlichen Lösung leider bereits in eine falsche Richtung. Die Schweiz und Österreich sind da einsichtiger und haben sich Hilfe von Experten geholt.
Nachtrag, 25.05.20: Auch Deutschland hat nach heftiger Kritik von diversen Organisationen und Datenschützern einen anderen Weg eingeschlagen und lässt die App nun auf dezentraler Basis von SAP und Telecom entwickeln. Infos dazu (inklusive des Source Code) findet ihr hier.
Wenn der Daten- und IT Sicherheitsschutz auf der Strecke bleibt, werde ich mir die App nicht herunterladen. Falls die 10 Punkte aber erfüllt werden und man der Allgemeinheit helfen kann, besteht durchaus die Chance, dass ich es installiere.
Leider kann ich euch dieses Mal keine einfache Lösung bieten. Jede Person MUSS sich laufend darüber informieren und das Ding zwischen den Ohren benutzen.
Bleibt sicher,
euer Peter
PS: Gerne würde ich eure Gedanken zu dem Thema hören. Hinterlasst mir dafür einfach einen Kommentar. Falls euch der Beitrag gefallen hat, würde ich mich freuen, wenn ihr ihn teilen würdet.
«Wie sich durch diverse Aussagen von Bundesminister Spahn erahnen lässt, bewegt sich die deutsche Regierung mit einem zentralen und datenschutzunfreundlichen Lösung leider bereits in eine falsche Richtung. Die Schweiz und Österreich sind da einsichtiger und haben sich Hilfe von Experten geholt.»
Dies mag zwischenzeitlich der Stand der Entwicklung gewesen sein. Doch bereits vor einigen Wochen ist das Konzept hier in Deutschland komplett auf eine *dezentrale Lösung* umgestellt worden, der Source-Code ist öffentlich einsehbar. Warum am 22. Mai diese Formulierung in den Text gekommen ist, erschließt sich mir nicht.
Vielen Dank für deinen Input!
Du hast recht, der Code kann auf GitHub eingesehen werden und die deutsche Regierung musste sich den Datenschützern beugen. Werde die allerneusten Informationen noch im Beitrag ergänzen.